Arthralgien

  • Arthralgien sind häufig unter Aromatase-Hemmern (AI) oder Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI). 
  • Die pharmazeutische Intervention ist auf Analgetika limitiert. NSAIDs und Paracetamol sind bei der Mehrheit der Patienten wirksam.
  • Bei Bedarf können auch stärkere Analgetika wie Opiate verschrieben werden.
  • Bei zusätzlich gastrointestinalem Risiko ist ergänzend zu NSAIDs die Gabe eines Protonenpumpenhemmers sinnvoll.
  • Bei nicht tolerablen Beschwerden sollte ein Präpatatewechsel auf einen anderen AI oder Tamoxifen erwogen werden.
  • Um das Blutungsrisiko zu minimieren sollte Acetaminophen/Paracetamol verschrieben werden, ausser unter Imatinib.
  • Unter Imatinib Opiate wie z.B. Codein, Metamizol oder Ibuprofen verordnen.
  • Anpassungen des Lebensstils wie Gewichtsreduktion, regelmässige Bewegung, Krafttraining, Verzicht auf Rauchen, nur moderater Alkoholkonsum, ergänzende Kalzium- und Vitamin D-Supplementierung als nichtpharmakologischer Ansatz.
  • Zusätzlich sind regelmässiges Stretching, Übungen zur Mobilisierung der Gelenke und Physiotherapie empfohlen.
Arthralgien sind unter verschiedenen Antitumortherapien beschrieben. Häufig treten sie unter Aromatase-Hemmern (AI) oder Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) auf. Bei den TKI werden sie am häufigsten bei Patienten unter Imatinib beobachtet.258 Auch unter Temozolomid oder Lenalidomid sind Arthralgien beschrieben. 

Im Allgemeinen stehen nicht steroidale Antirheumatika (NSAIDs) zur Analgesie an erster Stelle. Um das Blutungsrisiko unter zytostatischer Therapie zu minimieren, sollte Acetaminophen/Paracetamol eingenommen werden (CAVE: kontraindiziert bei Imatinib). 

Knochen-und Gelenkschmerzen unter TKI
20 bis 40% der Patienten unter Imatinib leiden an Knochenschmerzen und Arthralgien. Oft beginnen sie während des ersten Therapiemonats und klingen nach einigen Monaten ab. Die Symptome betreffen meist die Femora, die Tibiae, die Hüften oder die Knie. Diese Knochen- oder Gelenkschmerzen können schwerwiegend und behindernd sein, ausserdem können sie auffallend asymmetrisch sein. Bildgebende Untersuchungen konnten keine Anomalien aufzeigen.259 Die Ätiologie der TKI-induzierten Knochen- oder Gelenkschmerzen ist unklar. Bei einigen Patienten korrelierten die Schmerzen mit der Beseitigung leukämischer Zellen aus dem Knochenmark. 

Milde Knochen- und Gelenkschmerzen können mit nicht steroidalen Antirheumatika behandelt werden, sofern die Thrombozytenzahl über 100 000/mm3 beträgt und anamnestisch keine gastrointestinale Blutung bekannt ist. Zusätzlich sollte der Gebrauch eines Protonenpumpen-Hemmers in Betracht gezogen werden.259Alternativ könnten COX-2-Inhibitoren, Acetaminophen/Paracetamol oder milde narkotische Analgetika versucht werden.259 Acetaminophen/Paracetamol sind unter zytostatischer Therapie geeignet, um das Blutungsrisiko zu minimieren. Da Imatinib jedoch in vitro die O-Glucuronidierung von Acetaminophen/Paracetamol hemmt, sollte von der wiederholten Anwendung abgesehen werden. Bei Imatinib-Therapie können Opiate wie z.B. Codein, Metamizol sowie Ibuprofen verschrieben werden.
 

Durch adjuvante endokrine Therapie induzierte Arthralgien und Myalgien
Arthralgien sind bei Patienten unter Aromatase-Inhibitoren häufig.260 Während in grossen Studien die meisten Patienten an leichten bis mässigen AI-induzierten Arthralgien (AIA) litten, die nicht in signifikanten Therapie-Unterbrüchen resultierten58 59 261 262, zeigten jüngere Analysen bei bis zu 20% der Patienten Therapieunterbrüche aufgrund von schweren AIA.263 264 265 52 55 60 Somit können AIA zu einer verminderten medikamentösen Compliance führen, was die Wirksamkeit der Therapie vermindern und die Rückfall-Rate erhöhen kann.266

Trotz ihrer Häufigkeit ist die Ätiologie der AIA noch unbekannt.266 Es wird angenommen, dass AIA durch den Östrogenentzug verursacht werden, obwohl dies nie bewiesen wurde und der Signalweg nicht verstanden wird.267 Jedoch wird seit der Beschreibung der Menopausen-Arthritis (1925) ein Zusammenhang zwischen tiefem Östrogenspiegel und Gelenkschmerzen anerkannt.268
Verschiedene Theorien der AIA wurden postuliert: Die Östrogenspiegelminderung unter adjuvanter endokriner Therapie mit AI bewirkt eine verstärkte Nociception und führt zu höheren Raten von Arthralgien als diejenige unter Tamoxifentherapie. 37 38 39 Auch könnte der Effekt verminderter Östrogenspiegel auf den Knorpel, ein Gewebe, welches Östrogenrezeptoren exprimiert, an der Entstehung von Gelenkbeschwerden beteiligt sein.40 Die Aromatase wird auch in Synovialzellen und Chondrozyten der Gelenkknorpel exprimiert, wo lokal Androstendion zu Estron und Östradiol metabolisiert wird.269 270 Folglich können sowohl ein systemischer als auch ein lokaler AI-induzierter Östrogenmangel den Erhalt des Gelenkknorpels behindern.266

Symptome AI-induzierter muskuloskelettaler Beschwerden
Arthralgien können jederzeit auftreten, manifestieren sich aber am häufigsten während der ersten 6 Monate der Therapie.43 Oft beginnen sie 2 Monate nach Therapiebeginn. Der Gipfel liegt im Bereich von 6 Monaten, allerdings können sie bis 2 Jahre nach Therapiebeginn neu auftreten.271 272

Charakteristisch ist ein symmetrischer Befall der Gelenke.43 Am häufigsten betroffen sind die Hand respektive Handgelenke (60.4%), die Knie (59.7%), der Rücken (54%), der Fuss bzw. die Fussgelenke (51.8%) und die Hüften (42.5%). Typischerweise berichten die Patientinnen von morgendlichen Schmerzen und Steifheit der Gelenke.260 AI-Gebrauch kann neben Gelenkbeschwerden und -Steifheit auch mit einer milden Schwellung der Weichteile einhergehen. So können Fingerringe plötzlich zu eng sein. Auch kann es sein, dass Patientinnen Hände oder Finger nicht mehr vollständig schliessen bzw. strecken können, so dass tägliche Aktivitäten wie Anziehen, Autofahren oder Schreibmaschinenschreiben erschwert sind. In den meisten Fällen bessern sich die Symptome nach einiger Zeit, auch wenn die AI-Therapie weitergeführt wird.43 Nach 18 Monaten zeigte sich in der ATAC-Studie bei 75% der Patienten, die nach Beginn der Anastrazol-Therapie eine Arthralgie entwickelten, eine signifikante Besserung der Symptome.271

Schmerzen oder Steifheit der Gelenke sind nicht mit einem inflammatorischen Prozess und der für Arthritis typischen Gelenkzerstörung assoziiert. 41 260 Diese Information ist für die Patientinnen wichtig. Sie sollten wissen, dass durch die Therapie keine bleibenden Veränderungen oder Schädigung der Gelenke verursacht werden und dass die Symptome nach Absetzten der Therapie reversibel sind. Auch dass die Exazerbation von Gelenksymptomen ein Zeichen für die Wirksamkeit der Therapie sein kann und sich die Symptome sehr wahrscheinlich mit der Zeit bessern, ist eine hilfreiche Information.42 
AI-induzierte Arthralgien gehören in die Differentialdiagnose aller neu aufgetretenen Gelenkbeschwerden unter AI-Therapie. Die Herausforderung für den Arzt liegt in der korrekten Unterscheidung zwischen (AIA) und ossären, inflammatorischen oder degenerativen entzündlichen sowie von sekundären Arthralgien aufgrund von anderen Erkrankungen.43 Eine gute Übersicht mit Flussdiagramm zur Diagnosestellung, Differentialdiagnosen und Therapieentscheidung findet sich in Thorne C. Management of arthralgias associated with aromatase inhibitor therapy. Curr Oncol, 2007.

Management AI-induzierter Arthralgien und Myalgien
Es gibt keine grössere Studie, welche das optimale Management von AIA untersucht.266 Im Management scheinen Aufklärung und Beratung die zwei wichtigsten Schritte zu sein.260

Nichtpharmakologische Interventionsmöglichkeiten: 
Einfache Änderungen des Lebensstils wie Gewichtsreduktion und regelmässige Bewegung können Patienten mit AI-induzierter Arthralgie helfen.260 Thorne empfiehlt in seiner Arbeit Anpassungen des Lebensstils wie Krafttraining, Verzicht auf Rauchen, lediglich moderaten Alkoholkonsum und ergänzende Kalzium- und Vitamin D Supplementierung zur Unterstützung des pharmakologischen Ansatzes. 43 Bei Patienten mit tiefen Vitamin D-Spiegeln führte der Gebrauch von Kalzium- und Vitamin D-Supplementen zu einer Verbesserung der muskuloskelettalen Symptome.274 Khan et al. zitieren in ihrem Review neben Anpassungen des Lebensstils und gezielter Hitzeanwendung kleinere Studien mit Vitamin D-Ergänzung,46 Glukosamin44 und Akupunktur,45 die vielversprechende Resultate zeigten. Die Autoren grenzen jedoch ein, dass diese Resultate erst noch in grösseren Studien bestätigt werden müssen.47

Gemäss Thorne kann Hitze in Form von heissen Duschen, heissen Massagen, Akupunktur, Akkupressurtechniken oder transkutaner elektrischer Nervenstimmulation Arthralgien und Myalgien lindern. Allerdings sollten Patientinnen mit Osteoporose der Wirbelsäule Massagen der tiefen Muskulatur vermeiden. Zusätzlich sind regelmässiges Stretching, Übungen zur Mobilisierung der Gelenke und Physiotherapie zur Stärkung der Muskulatur, Erhöhung der Beweglichkeit und Verminderung von Verspannungen empfohlen. Auch Psychotherapien inklusive Relaxationstraining, Biofeedback, Visualisierungstechniken, Distraktionsmethoden und psychiatrische Interventionen sind gemäss Thorne zur Linderung von schmerz-bedingtem emotionalem Stress und depressiven Verstimmungszuständen empfehlenswert.43

Pharmakologische Behandlung 
Die pharmazeutische Intervention ist auf Analgetika limitiert. Obwohl NSAIDs wie Ibuprofen im klinischen Alltag oft verschrieben werden, um die AIA zu behandeln, gibt es keine Evidenz aus klinischen Studien, welche diesen Ansatz unterstützen würde. Allerdings kennen viele Kliniker anekdotische Erfolgsgeschichten bei der Behandlung von AIAs mit NSAIDs. Natürlich müssen dabei auch die gastrointestinalen, renalen und kardiovaskulären Nebenwirkungen berücksichtigt werden.267 Bei zusätzlich gastrointestinalem Risiko ist ergänzend zu NSAIDs die Gabe eines Protonenpumpen-Hemmers sinnvoll. 
Bei der Mehrheit der Patienten sind NSAIDs, Paracetamol und COX-2-Inhibitoren wirksam, bei Bedarf können auch stärkere Analgetika wie Opiate verschrieben werden.47 48 Während COX-2-Inhibitoren besonders reizvoll scheinen, da sie die Aromatase herunter regulieren,275 können sie auch verschiedene potentiell gefährliche Nebenwirkungen wie Herzinfarkt und Apoplexie bewirken. Deshalb sind sie für die routinemässige Behandlung von AIA nicht empfohlen. 
Younus und Kligman empfehlen bei muskuloskelettalen Beschwerden zuerst Acetaminophen allein zu versuchen. Ibuprofen oder andere NSAIDs können bei persistierenden Schmerzen hinzugefügt werden. Für starke oder therapieresistente Gelenkschmerzen können zusätzlich Opioide mit oder ohne Acetaminophen verordnet werden. Schmerzmodulierende Substanzen wie Trizyklische Antidepressiva oder Antikonvulsiva können bei schweren therapieresistenten Gelenkschmerzen hinzugefügt werden. Bei komplexen Situationen oder diagnostischen Problemen ist der Zuzug eines Rheumatologen oder Schmerzspezialisten angebracht.

Alternative endokrine Therapie: Patientinnen, die unter persistierenden störenden Beschwerden leiden, können allenfalls vom Wechsel auf eine alternative endokrine Therapie profitieren. Aufgrund der erhöhten Wirksamkeit der AI verglichen mit Tamoxifen bezüglich Rezidivprophylaxe, wäre eine erste mögliche Alternative auf einen anderen AI zu wechseln.47 Leidet die Patientin weiterhin stark unter Arthralgien, kann auch auf Tamoxifen gewechselt werden, da die meisten Patienten diese Beschwerden unter Tamoxifen nicht haben oder zumindest besser tolerieren.49

 

© Cancerdrugs GmbH, last update 18.02.2016.
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